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Fandom:
Relationship:
Language:
Deutsch
Stats:
Published:
2014-07-25
Updated:
2021-11-22
Words:
19,753
Chapters:
6/?
Comments:
14
Kudos:
32
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3
Hits:
1,120

Eine unerklärliche Benjamin Blümchen Fan Fiction

Chapter 6: In dem Otto von der Vergangenheit eingeholt wird

Notes:

Ich sag mal jetzt nichts über die lange Pause. Ich hatte gar nicht gedacht, dass das hier noch Aufmerksamkeit kriegt und die Story ist so alt dass ich beinah schon in Erwägung gezogen hatte, sie ganz raus zu nehmen. Aber ich weiß selbst wie scheiße das ist, wenn man was nicht zu Ende lesen kann.

Und ja, die Timeline ist ein bisschen fucked up. Halten wir ein für alle Mal fest: Es ist Juli, Nina bekommt ihr Kind jeden Moment (also nicht im September) und in ein paar Wochen geht die Ausbildung los.

(See the end of the chapter for more notes.)

Chapter Text

Es ist gar nicht so einfach zu schlafen, wenn man sich temporär die Wohnung mit einem 18-Jährigen unter Drogeneinfluss teilt. Karl kannte sich mit Drogen nicht aus und wusste überhaupt nicht, was dieses Mädchen Otto in sein Getränk oder was auch immer getan hatte. Er konnte nicht lange geschlafen haben, da hörte er es schon im Schlafzimmer rumoren.
“Wo zum FICK bin ich hi - ahh.” - KLONK!
Irgendetwas war irgendwo runter gefallen. Es half nichts. Er schaute wohl besser mal nach. Er nahm seine Armbanduhr vom Nachttischschränkchen und grummelte, als er sah, dass erst eine Stunde vergangen war.
“Kannst du nicht schlafen? Fragte er mit der Türklinke in der Hand, Als er das Schlafzimmer betrat. Die Nachttischlampe lag auf dem Boden. Darunter lag Otto - seine Hose saß etwas ungünstig, jetzt wo der Gürtel fehlte.
“Kaaaarl. Das ist total schön dass du mich besuchen kommst. Bleib doch gleich hier, das ist doch bestimmt total ungemütlich auf dem Sofa. Und eigentlich ist das ja auch dein Bett.
“Lass mal gut sein, junger Mann”, sagte er so autoritär wie es nur ging, während er Otto mit einigem Aufwand wieder aufs Bett hievte und die Nachttischlampe wieder auf den Beistelltisch stellte. Die Einrichtung des Wärterhäuschens war fürchterlich veraltet aber er mochte sich nicht beschweren. Er war froh, dass er hier wohnen konnte. Es war eigentlich damals nur eine Übergangslösung gewesen, als er hier angefangen hatte. Jetzt war es sein zuhause. Schon seit 17 Jahren. Er kannte nichts anderes.
Etwas erstaunt beobachtete Karl, wie Otto sich plötzlich aus eigener Kraft aufsetzte, die Nachttischlampe einschaltete und ihn mit wachen Augen anstrahlte.
“Ich muss dir echt mal ein Kompliment machen. Du bist so selbstlos, Karl. Du bist für die Tiere da, du bist für Herrn Tierlieb da, du bist für mich da. Wer ist eigentlich für dich da, Karl?” Jetzt sah er fast schon traurig aus. Irgendwie hörte der Tierpfleger gar nicht zu. Selbst wenn er wollte, jetzt hätte er auch nicht schlafen können. Gerade eben war Otto für ihn nur ein betrunkener Teenager gewesen, der bestimmt sofort ins Traumland fiel, sobald man ihm ein weiches Plätzchen gab. Jetzt wurde ihm erst klar, was eigentlich los war. Er wollte sich in den Arsch beißen, dafür, dass er Julia direkt hatte laufen lassen und nicht noch weiter ausgefragt hatte. Dass Otto unter Drogeneinfluss stand war eine Sache. Teenager machen manchmal dumme Sachen. Aber “da ist irgendein Aphrodisiakum oder sowas drin” ist keine besonders genaue Angabe zum Wirkstoff. Dazu hatte er - wirklich - absolut gar keine Ahnung von Drogen. In seinem ganzen Leben hatte er noch nicht einmal an einem Joint gezogen, geschweige denn einen gesehen. Obwohl er - gerade jetzt - wusste, dass das gut war, fühlte er sich auch ein bisschen langweilig.
Karl dachte, dass es vielleicht gut war, Otto auf den Boden der Tatsachen zu holen.
“Otto, weißt du, warum du so gut drauf bist?” Otto überlegte einen Moment.
“Na ja. Also ich hab wirklich schon lange nichts mehr getrunken. Ich hab mir ehrlich gesagt vor ein, zwei Jahren geschworen, keinen Tropfen mehr anzurühren. Könnte daran liegen. Ich meine kann schon sein, dass der Körper dann anders drauf reagiert, oder? Irgendwie stärker oder so. Eigentlich ist mir das auch völlig egal. Ich finde der Abend ist ziemlich gut ausgegangen. Wenn du mich fragst -”
Es war etwas besorgniserregend, dass Ottos kleine Anekdoten klangen, als kämen sie von einem 40-Jährigen, trockenen Alkoholiker. Nicht von einem Abiturienten.
“Dir hat jemand was ins Getränk gemixt, Otto. Irgendeine Pille.”
“Waaas? Ach Quatsch. Außerdem ‘ne Pille ins Getränk, wie soll’n das gehen. Na ja, vielleicht hat der sie klein gemörsert.” Otto fing plötzlich unkontrolliert an zu lachen. “Ey, he, Karl, he, jetzt stell dir ma vor da geht jemand mit’m Mörser auf ‘ne Abiparty und jeder fragt den ‘was hast’n du da’ und der so ‘ja, ich muss da noch jemanden unter Drogen setzen”
So langsam musste Karl sich zusammenreißen, nicht über Ottos beflügeltes Gemüt zu lachen. Ernst bleiben.
“Ja. Heh. Ähm - kannst du dir vielleicht vorstellen was in der Pille drin gewesen sein könnte?” Karl wusste gar nicht warum er fragte. Woher sollte Otto das wissen? Andererseits war er auch derjenige mit den Symptomen und vielleicht wurde die Droge in der Schule häufiger verteilt. Zu seiner Erleichterung schien Otto jetzt ernsthaft nachzudenken.
“Na jaaa. Wie bin ich denn so drauf? So aus deiner Sicht?”
“Du redest viel. Und es ist halb vier in der Nacht und du bist immer noch nicht müde.”
“Aha! Das erklärt warum ich so spitz bin! Hehehe”, kicherte Otto, “Das war bestimmt Speed. Gibt’s auch als Kapsel. Besonders beliebt bei Teenies, weil, hehe, das andere, das brennt so inner Nase” Er kicherte schon wieder.
“Speed?”
“Amphetamine”, schwurbelte Otto mit einiger Mühe.
Amphetamine. Jetzt war er schlauer. Aber auch nicht. Er wusste gar nichts darüber. Er wusste jetzt nur, wie ein Otto sich benahm, wenn man ihm welche gegeben hatte. Und er wusste, dass es scheinbar nicht das erste Mal gewesen war.
“Mann, das erste Mal auf Speed, das war am See. Ich war überhaupt nicht drauf vorbereitet. War auch n bisschen zu viel glaub ich. Man weiß ja nie, wie das gestreckt ist, das ist Gambling auf dem höchsten Niveau. Aber Skank hat immer gesagt ‘no risk, no fun’ und wir dann alle so ‘ja, Mann. No risk, no fun’.”
Ottos plötzliches ernstes Gesicht machte Karl richtig Angst. Alle Müdigkeit war nun auch ihm verflogen. Er nahm sich seinen Bademantel, der an der Schlafzimmertür hing, zog ihn an und setzte sich zu Otto aufs Bett.
“Wer ist denn Skank?”
“Skank war der Anführer”, sagte Otto übermäßig betont und rollte mit den Augen. “Zwei Jahre älter als wir. Hannah und Skank hatten was.”
“Wie alt warst du denn da?”
“Ach, pff, so 14?”
Karl stockte der Atem und er wollte schreien. Wen er anschreien wollte, wusste er gar nicht. Otto. Der Otto, den er kannte seit er acht Jahre alt war, der sollte mit 14 Jahren am See mit Drogen rumexperimentiert haben? Wegen irgendeines Idioten namens SKANK? Wer hieß überhaupt so? Er sagte lieber gar nichts. Er kannte ja überhaupt auch nur einen Teil der Geschichte.
“Wir haben die Musik ganz aufgedreht und - “, Otto lachte, “JP und ich haben mega den Ständer gekriegt. JP hat sich irgendwo im Wald einen runtergeholt und ich hab mich einfach am Ufer ins Wasser gelegt und das kalte Wasser gespürt. Einfach gespürt. Und ich glaub Hannah und Skank sind dann irgendwo ficken gegangen.”
Karl wusste nicht, ob ihn Ottos Wortwahl beunruhigen sollte. Etwas schmeichelte sie ihm aber auch. Jetzt war er offenbar nicht der, vor dem man sich benehmen musste. Jetzt war er vertraut.
“Ach und Marco war auch noch da. Weiß nich was mit dem war. Vermiss ja meine Leute schon irgendwie aber hey. Ich mein das war schon scheiße alles.”
“Das mit den Drogen?”
“Hmm? Ach, Skank hat mal so ‘ne halbe Portion zu Brei geschlagen weil der ihn nich bezahlen konnte und dann hat Hannah ihn verlassen und dann hat Hannah was mit Marco angefangen und als das rauskam - oh, das war übel” Otto erzählte das alles, als sei es ein alter Hut. In der Schule jedem bekannt, normal wie skandalös. Für Karl war es unfassbar.
“Was war übel?”
“Na, Marco ist im Krankenhaus fast krepiert. Skank sitzt immer noch Knast. Der Idiot war halt auch gerade 18 geworden als das passiert ist.” Karl wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte einfach keine Ahnung, wie er diese vielen Informationen verarbeiten sollte. Auch sein Leben war nicht einfach gewesen. Darum ging es aber auch gar nicht. Er konnte einfach nicht fassen, dass Otto… mal ganz abgesehen davon war er sich nicht ganz sicher, ob diese ganzen Stories eigentlich für seine Ohren bestimmt waren. Würde Otto das alles auch erzählen, wenn er nüchtern wäre? Wahrscheinlich nicht.
“Jetzt guck nich so, als hättst du nen Geist gesehen. Ist ja alles gut gegangen!”, lachte Otto und wuschelte Karl durch die Haare. Der zwang sich zu einem Lächeln.
“Na ja, aber um ehrlich zu sein mag ich Speed jetzt nich so. Also wenn ichs mir aussuchen kann.”
“Warum?”, fragte Karl - fast schon ängstlich.
“Weil’s einen so scheiße horny macht und ich HASSE es, horny zu sein.”
Abgesehen von der Tatsache, dass Karl sich immer mehr so fühlte, als würde er Ottos Privatsphäre mit einem Messer penetrieren, machte ihm der Satz etwas Sorgen. Der Junge war achtzehn. Er musste, nein, er sollte doch pausenlos an sich rumspielen.
“Ja, is halt nich so einfach. Andere setzen sich vor YouPorn, suchen ‘Dicke Titten’ und haben was sie wollen, zehn Minuten später Sauerei wegwischen, halbe Stunde später nächste Runde. Ich weiß halt nich so richtig…”
“…was du auf YouPorn suchen sollst?”, schmunzelte Karl.
“So in etwa.”, lachte Otto.
“Schämst du dich?”, fragte Karl etwas ernster.
“Ach Quatsch.”, Otto pausierte, “Vielleicht.”
“Wofür?”
“Ey-”, Otto lächelte aber seine Augen funkelten.
“Schon gut. None of my business, oder wie man das sagt. Jedenfalls, was auch immer es ist, du musst dich für gar nichts schämen.” Karl fühlte sich etwas schlecht. Normalerweise hatte er bessere Ratschläge parat. Normalerweise war es aber auch nicht vier Uhr morgens und eventuell machten ihm Ottos Geschichten etwas zu schaffen.
Sie schwiegen eine Weile, bis Otto plötzlich unerwartet verkündete: “ich bin jetzt müde.”
Es wurde schon hell draußen. Ein Stündchen Schlaf sollte trotzdem noch drin sein.

——————————————————————————————

Es ging ihm gut. Keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit, kein Filmriss. Nur eins: es hatte ihm gefallen und das war schlecht. Das Bier hatte geschmeckt. Zu gut. Das war schlecht. Und Karl - ohh, er wünschte sich einen Filmriss. Er wünschte sich so sehr, nichts mehr von dem, was gestern passiert war zu wissen.
Karl hatte sich so gut verhalten. Hatte ihn toleriert, alles was er gesagt hatte, alles was er getan hatte. Weil Otto sich nicht unter Kontrolle hatte. Und Karl hatte das alles mit sich machen lassen. Weil Karl nunmal Karl war. Selbstlos. Karl. Oh Gott.
//Wenn mir auf dem Weg nach Hause auch nur ein Mensch über den Weg läuft, den ich kenne, dann jag ich mir eine Kugel in den Kopf. Mir ist egal wo ich sie hernehme, und wenn ich sie herzaubern muss. Ich kann das nicht verkraften.//
Es war schon zehn und der Wärter war bei den Tieren. Otto widerstand der Versuchung, im Bad noch eine heiße Dusche zu nehmen. Erstens erhöhte es die Chance, dass sie sich doch noch über den Weg liefen und zweitens hielt er es für dreist, sich in diesem Haus noch länger aufzuhalten. Er bekam schon Schuldgefühle wenn er irgendetwas in seinem näheren Umfeld auch nur ansah.
Er zog sich also Schuhe und Gürtel an, warf sich sein Jackett über den Arm und machte sich im Laufschritt auf den Weg. Der Kassenwart sah ihn etwas verdattert an. Er sah heute immerhin etwas ungewöhnlich aus und als er heute den Zoo betreten hatte, hatte Lars noch selig in den Federn gelegen.
Otto schaffte es, ohne besondere Vorkommnisse nach Hause zu kommen und selbst das Donnerwetter fiel geringer aus als gedacht. Vielleicht erinnerten sich seine Eltern an die eigene Abiparty oder an Studienzeiten oder waren einfach froh, dass er unbeschadet nach Hause gekommen war. Er hoffte auf letzteres.

Ein paar Tage später saß Otto in der Aula des Neustädter Gymnasiums und zitterte. Ihm durfte eigentlich herzlich egal sein, was für eine Zahl unter seinem Abitur stand. Er wusste auch, dass er bestanden hatte. Wäre er durchgefallen, hätte er vorher von der Schulleitung eine Nachricht mir einer Einladung zum Gespräch gekriegt. So wie Marco. Er und die anderen Durchgefallenen waren gar nicht erst zur Notenvergabe erschienen. So erspart man sich einiges an Erniedrigung.
Der Schulleiter hatte ein schmerzhaft ausgeprägtes Talent für lange, schwurblige Reden ohne Punkt und Komma. Auch wenn man ihm anmerkte, dass er wirklich berührt war.
“Neun Jahre kennen wir uns nun schon. Es gibt wenig Freundschaften, die so lange halten und meine Damen und Herren, dass Sie mich jetzt verlassen bricht mir das Herz. Ich möchte hierbei noch einmal auf mein Alter verweisen, vielleicht möchte Sie es sich noch einmal anders überlegen? Es wäre doch schade, einen senilen Schulleiter auf dem gewissen zu haben, nur weil man seinem Wissenshunger nicht widerstehen kann.”
//Marco wird Sie auf Trapp halten, Herr Lehmann//
Otto schmunzelte in sich hinein. Seine Nervosität schwand etwas. Hannah hatte offenbar seine Gedanken gelesen.
“Den Herzinfarkt kriegt er nächstes Jahr, wenn er sieht das er schon wieder Marco in Politik hat”, flüsterte sie und knuffte ihm mit dem Ellbogen in die Seite.
Der stellvertretende Schulleiter - Hauptfach Mathe - übernahm und bewies sich in seinem Spezialgebiet. Er zeigte über den Beamer eine Powerpointpräsentation mit Statistiken über den Notendurchschnitt über die Jahre von Klasse fünf bis jetzt, belohnte die Schüler, die ihren Schnitt am besten gerettet hatten mit Kinder-Schokobons, gab denen, die über die Jahre schlechter geworden waren eine Packung Traubenzucker für den Denkapparat und schließlich gingen für das bestandene Abitur zwei Großpackungen Haribo rum, die begleitet wurden von einer weiteren Statistik: Korrelation zwischen dem bestandenen Abitur und der Zufriedenheit eures Zahnarztes nach dem nächsten Praxisbesuch auf einer Skala von eins bis zehn.
“Aber, wir haben im Abi gelernt, meine Lieben, sagt es im Chor - Korrelation ungleich Kausalität - daraus folgt meine nächste Folie: Die Wahrscheinlichkeit dass das meine Schuld ist: 0%. Vielen Dank, sie waren ein tolles Publikum!” Tosender Applaus.
“Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der Schumann mich am Ende des Jahres noch zum Lachen bringt?”, raunte Otto Hannah zu, die daraufhin nur heftig nickte.
Es war soweit. Die Schulleitung höchstpersönlich war sich nicht zu schade, mit den Abiergebnissen zwischen den Reihen herumzutanzen und sie an die knapp 70 Schüler zu verteilen.
“2,3!! Alter, Otto! Glückwunsch!” Hannah fiel ihm von der Seite um den Hals.
Ja, das war schon gut. Zerknirscht schaute er die 5 Punkte in Mathe an, die sich zwischen den guten Noten verirrt hatten. Gerade nochmal Glück gehabt. Einer weniger und er hätte einpacken können. Er wusste auch nicht, was da in Mathe immer los war. Physik war ja auch kein Problem. Aber jetzt war es vorbei. Für immer.
Hannah hatte es doch tatsächlich auf 1,7 geschafft. Sie hatte sich wirklich angestrengt die letzten drei Jahre. Sie hatte gerade sogar zwei Schokobons bekommen. Verdiente Schokobons.
Als sie aus dem Schulgebäude schlenderten, hakte sich Hannah bei ihm ein und sagte: “so. Du und ich, wir gehen jetzt an den See.”
“An den See! Damn!”, grinste Otto. So schräg ihre geteilte Vergangenheit auch war. Sie waren da zusammen durchgegangen und wer weiß, wie lange diese Freundschaft noch hielt.

“Was für ein Lauch eigentlich”, kicherte Hannah und reichte ihm den Joint. Sie lagen am Seeufer an einen kleinen Abhang gelehnt und waren hauptsächlich damit beschäftigt, sich die Mücken von den nackten Beinen zu hauen.
“Ja, schon. Aber irgendwie isses schon traurig. Ich mein, wir waren da jetzt neun Jahre, kannst du glauben, dass ich den vermissen werde?”
“Du wirst den Schumann vermissen?” Hannah lachte “Nee, also da hab ich besseres mit meiner Zeit anzustellen. Obwohl das schon witzig war heute. Is halt süß, wenn alte Leute versuchen lustig zu sein.”
“Ey, Schumann ist vielleicht 40, wenn überhaupt.”
“Uuuuuuuralt”, brummte Hannah Zentimeter von seinem Gesicht entfernt und kicherte wieder. Otto nahm ihr grinsend den Joint aus den Fingern, zog ein letztes Mal daran und machte ihn aus.
“Hey!”
“Du hast genug gehabt, Brummbär.”
Das ließ sie nicht auf sich sitzen und schon war er in einen kleinen Kitzelkampf verwickelt, der immerhin die Mücken vertrieb. Wow. Das hatte er alles ganz schön vermisst.
“Wer war eigentlich dieser Typ, der dich da von der Party geholt hat? Den hab ich noch nie gesehen. ‘N Onkel oder so?”, fragte Hannah, als sie sich wieder beruhigt hatten.
Auweia. Wie sollte er das jetzt erklären? Er entschied sich für gar nicht.
“Alter Freund von mir. Kenn ich noch aus Kindertagen. Der hat mich wohl auf dem Parkplatz gesehen und sich irgendwie Sorgen gemacht oder so.
“Aha…”, sagte Hannah stirnrunzelnd, “hat dich nach Hause gefahren?”
“Hmm”, Otto nickte.
“Deine Eltern…?”
“Haben gepennt”
“Ha..Glück gehabt.”
Sie schwiegen eine Weile.
“Er hat Julia jetzt aber nicht angezeigt, oder? Die ist halt einfach n bisschen dumm und naiv und hat keine Ahnung gehabt was sie da kauft.”
“Julia?!” Otto saß plötzlich kerzengerade.
“Ja, ich mein, hat dein Freund dir nicht gesagt, wer…” Hannah wurde etwas bleich, als sie den Zorn in Ottos Gesicht sah. “Jetzt beruhig dich mal, ich hab doch gesagt: Julia ist halt einfach dumm.”
“Er wusste dass sie das war?”, fragte Otto laut und deutlich.
“Ja, er hat sie zur Rede gestellt. Sie stand da nur und hat geheult und meinte dass irgend so ein Typ ihr das als Aphrodisiakum verkauft hat.”
Otto schlug sich an die Stirn. Aphrodisiakum. Gar nicht mal so weit hergeholt. “Und dann?”, fragte er.
“Keine Ahnung. Sie ist einfach weggerannt und wir ihr hinterher aber sie war zu schnell. Ich war auch ziemlich voll an dem Abend, sorry.”
Otto versuchte, sich zu beruhigen. Julia verursachte inzwischen eine richtige Wut in ihm und er wusste nicht mal, warum. Weil sie ihn angefasst hatte, ohne dass er es wollte? Aber woher sollte sie das vorher wissen? Oder war er sauer, dass er nicht an ihr interessiert war? Oder ging es vielleicht gar nicht um sie? Warum hatte Karl nicht gesagt, dass es Julia gewesen war? Dir hat jemand etwas ins Getränk gemischt. Otto verstand gar nichts mehr.
“Wenn ich ehrlich bin haben wir uns mehr Sorgen gemacht weil du mit nem fremden Typen weg bist, den wir noch nie gesehen haben und der ein Riesentheater macht weil du drauf bist. Und ans Handy bist du ja auch nicht gegangen.” Hannah runzelte die Stirn.
“Machst du mir jetzt Vorwürfe?”
“Vielleicht ein bisschen. Ist schon ziemlich viel scheiße passiert hier, ich hab wenig Headspace reserviert für noch mehr Drama.”
Otto atmete einmal tief durch. War wohl Zeit, den Ärger runterzuschlucken. Zumindest kurz. Er legte Hannah einen beruhigenden Arm um die knochigen Schultern und fummelte mit der anderen Hand in seiner Tasche nach seinen Zigaretten. Er hatte sich mal wieder eine Schachtel statt Tabak gekauft. Er bereute es jedes Mal wieder. Diese blöde verklebte Maschinenscheiße stank und machte Kopfschmerzen. Aber immerhin war sie unkompliziert. Er steckte Hannah und sich selbst eine Kippe in den Mund, steckte beide an und ließ den Kopf erschöpft nach hinten fallen.
Wenig Headspace für noch mehr Drama. Das traf es eigentlich doch ganz gut.

Notes:

Wem das jetzt mit Ottos Backstory doch etwas zu heftig ist: sorry. Ich mag eben Dramen. Und dass er so stark von der Bahn abgekommen ist, hatte ich tatsächlich schon von Anfang an geplant.
Das einzige, was jetzt wenig Sinn ergibt ist, dass er sein Abi trotzdem noch mit 18 geschafft hat. Sagen wir einfach mal optimistisch, dass Otto die Schule (außer Mathe) schon immer leicht gefallen ist und Seine Clique jetzt auch nicht sein gesamtes Leben eingenommen hat.

Ich hoffe, ihr habt's ein bisschen genossen. Hehe. Und ja, da kommt noch mehr. Irgendwann immer. Keine Sorge.